Volker Quaschning über die Kraftwerksstrategie: „Wir verlieren uns in Detailfragen, statt das große Ganze im Blick zu behalten.“

Gastautor Portrait

Prof. Dr. Volker Quaschning

HTW Berlin

Volker Quaschning ist seit 2004 Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin und heute dort Sprecher für den Studiengang Regenerative Energien. Der studierte Elektrotechniker promovierte 1996 an der TU Berlin über Photovoltaiksysteme und schloss 2000 seine Habilitation über eine klimaverträgliche Elektrizitätsversorgung in Deutschland ab. Er hat inzwischen mehrere erfolgreiche Bücher geschrieben, betreibt das Informationsportal www.volker-quaschning.de zu erneuerbaren Energien und Klimaschutz und ist gefragter Redner und Interviewpartner.

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vor 3 Tagen
Foto: LEAG/Andreas Friese

Ende September 2024 führten wir dieses Interview mit Prof. Dr. Volker Quaschning, Experte auf dem Gebiet der erneuerbaren Energiesysteme und Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. Seine Forschungsarbeit konzentriert sich auf die Modellierung und Simulation regenerativer Energiesysteme, insbesondere in Bezug auf Photovoltaiksysteme und nachhaltige Energiekonzepte für die Energieversorgung. Er ist ein Kritiker der aktuellen Klimapolitik und setzt sich aktiv für eine ambitionierte Energiewende ein. Zudem ist er Mitglied des Kuratoriums unserer Stiftung.

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Herr Professor Quaschning, wie bewerten Sie die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung grundsätzlich?

Prof. Dr. Volker Quaschning: Das Thema ist sehr komplex. Es ist schwer, eindeutig zu sagen, ob die Strategie gut oder schlecht ist. Am Ende werden wir diese Kraftwerke wohl brauchen. Das Problem liegt darin, dass in der Diskussion fast ausschließlich von Erdgaskraftwerken die Rede ist. Klar ist: Ersetzen wir Kohle durch Erdgas, tauschen wir die Pest gegen die Cholera. Deshalb ist es entscheidend, dass diese Kraftwerke möglichst selten – oder besser nie – mit fossilem Erdgas betrieben werden. Das erreichen wir durch den massiven Ausbau der Solarenergie und die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff. Doch diese Themen werden meiner Meinung nach viel zu wenig diskutiert.

Kritikpunkte und Herausforderungen der Kraftwerksstrategie

Wir machen den zweiten Schritt vor dem ersten. Der Ausbau der Solarenergie verläuft akzeptabel, und auch die Windenergie nimmt endlich an Fahrt auf. Das bedeutet, dass wir bald sehr viel Strom im Netz haben werden. Wir müssen uns zuerst Gedanken machen, wie wir diesen Strom nutzen.

Prof. Dr. Volker Quaschning

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Was sind weitere Kritikpunkte, die Sie sehen? Die positiven Aspekte können wir später besprechen.

Prof. Dr. Volker Quaschning: Wir machen den zweiten Schritt vor dem ersten. Der Ausbau der Solarenergie verläuft akzeptabel, und auch die Windenergie nimmt endlich an Fahrt auf. Das bedeutet, dass wir bald sehr viel Strom im Netz haben werden. Wir müssen uns zuerst Gedanken machen, wie wir diesen Strom nutzen. Dafür brauchen wir zeitvariable Stromtarife und einen starken Ausbau der Elektromobilität mit Fahrzeugen, die bidirektional laden können sowie viel mehr Wärmepumpen. Diese Schritte sind essenziell, um die Überschüsse, die wir bald sehen werden, effizient zu nutzen.

Aktuell haben wir noch klassische Kraftwerke, und Gaskraftwerke sollten nur dann einspringen, wenn große Lücken entstehen. Bei kleineren Lücken helfen Batteriespeicher – hier tut sich bereits viel. Die neuen Gaskraftwerke werden hauptsächlich für sogenannte Dunkelflauten benötigt, das sind wenige Wochen im Winter mit minimalem Solar- und Windstrom. Derzeit decken Kohle- und Gaskraftwerke diese Phasen ab, aber das wird nicht mehr funktionieren, wenn die Kohlekraftwerke abgeschaltet sind. Wir brauchen also einen Ersatz, denn sonst werden wir im Winter Probleme haben.

Die neuen Gaskraftwerke dürfen jedoch nicht mit fossilem Erdgas betrieben werden, da die Methanverluste in den Klimabilanzen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Methan ist ein extrem starkes Treibhausgas, und das fällt oft völlig unter den Tisch. In der deutschen Klimabilanz erscheinen Gaskraftwerke dadurch besser als Kohlekraftwerke, aber global betrachtet ist der Unterschied nicht so groß. Wir müssen zunächst die wichtigen Hausaufgaben erledigen, bevor wir uns auf Reservekraftwerke konzentrieren.

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Ab 2025 sollen Energieversorger dynamische Stromtarife anbieten. Ist das aus Ihrer Sicht ausreichend oder sehen Sie weiterhin große Lücken, die gefüllt werden müssen?

Prof. Dr. Volker Quaschning: Das Angebot allein wird nicht ausreichen. Wenn wir in diesem Jahr 15 Gigawatt an neuen Solaranlagen bauen, können diese alleine bis zu einem Fünftel des mittäglichen Strombedarfs decken. Wenn nur ein paar Haushalte auf variable Tarife umsteigen, wird das dem Problem nicht gerecht. Wir müssen sicherstellen, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren alle Haushalte und Verbraucher auf dynamische Stromtarife umgestellt werden. Das ist aktuell noch weit entfernt, weil die technischen Voraussetzungen fehlen. An diesen Stellen müssen wir deutlich schneller vorankommen als beim Bau von Gaskraftwerken.

Lösungen und Alternativen für offene Fragen zur Kraftwerksstrategie

Für Reservekraftwerke gibt es nur begrenzte Geschäftsmodelle. Deshalb muss entweder eine gesetzliche Verpflichtung oder eine staatliche Förderung eingeführt werden. Auf freiwilliger Basis wird es zu lange dauern.

Prof. Dr. Volker Quaschning

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Wer hat Ihrer Meinung nach den größeren Hebel dafür – Politik oder Wirtschaft?

Prof. Dr. Volker Quaschning: Die Politik muss die Rahmenbedingungen vorgeben. Viele Maßnahmen sind wirtschaftlich schwer darstellbar, und daher fehlt der Anreiz für Unternehmen. Für Reservekraftwerke gibt es nur begrenzte Geschäftsmodelle. Deshalb muss entweder eine gesetzliche Verpflichtung oder eine staatliche Förderung eingeführt werden. Auf freiwilliger Basis wird es zu lange dauern.

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Gibt es technische Alternativen zu Gaskraftwerken, die Sie bevorzugt in die Kraftwerksstrategie aufgenommen hätten?

Prof. Dr. Volker Quaschning: Langfristig werden wir um Gaskraftwerke nicht herumkommen. Schauen wir auf das Jahr 2045, wenn die Energiewende abgeschlossen sein soll: Wir werden dann sehr viel Solar- und Windenergie sowie Batteriespeicher haben, die im Sommer nachts überbrücken können. Aber in den Wintermonaten brauchen wir Gaskraftwerke, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Diese Kraftwerke müssen wir jetzt planen und irgendwann auch bauen, weil sie nicht über Nacht errichtet werden können. Derzeit fehlt es jedoch an grünem Wasserstoff. Die Kraftwerke, die jetzt gebaut werden, laufen deshalb zunächst mit fossilem Erdgas – und hier besteht das Risiko, dass diese Übergangslösung länger als geplant genutzt wird und wir damit alle Klimaschutzziele verfehlen.

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Welche Lösungen sehen Sie, um die Speicherproblematik bis 2045 zu beheben?

Prof. Dr. Volker Quaschning: Wir müssen den Ausbau von Batteriespeichern vorantreiben. In China gibt es bereits erhebliche Fortschritte bei den Speicherpreisen und der Verfügbarkeit. Wir müssen in Deutschland endlich auch bei Elektroautos vorankommen. In Norwegen sind nur noch vier Prozent der Neuwagen Verbrenner, während es in Deutschland nur 18 Prozent Elektroautos sind. Ohne eine starke Elektromobilität können wir kein bidirektionales Laden realisieren, und das behindert die Energiewende massiv.

Die Kraftwerksstrategie als Gesamtkonzept heute und in Zukunft

Wenn man Kinder hat und die wissenschaftlichen Klimaberichte liest, weiß man, dass wir dringend handeln müssen. Es ist wie auf der Titanic: Man kann nicht einfach weiter Mittag essen, wenn man eine Eisbergwarnung hat.

Prof. Dr. Volker Quaschning

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Wie gut ist die Kraftwerksstrategie Ihrer Meinung nach in die anderen Maßnahmen wie Verkehrswende und Wärmewende eingebunden?

Prof. Dr. Volker Quaschning: Der Ansatz ist leider sehr singulär. Das Bundeswirtschaftsministerium hat zwar eine Strategie, aber die Zusammenarbeit mit anderen Ministerien funktioniert nicht optimal. Im Verkehrsbereich diskutieren wir über E-Fuels und ein Aufheben des Verbrenner-Aus, ohne die Elektromobilität als zentralen Baustein zu erkennen. Wir verlieren uns in Detailfragen, statt das große Ganze im Blick zu behalten. Bei der Kraftwerksstrategie sind die geplanten Maßnahmen im Prinzip richtig, aber über den Zeitrahmen sollten wir noch einmal sprechen.

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Ein Gedankenspiel. Wir schreiben das Jahr 2045. Deutschland hat die Klimaneutralität erreicht. Welche drei zentralen Meilensteine waren rückblickend dafür ausschlaggebend?

Prof. Dr. Volker Quaschning: Der wichtigste Schritt – von 2045 rückblickend betrachtet – war der rechtzeitige und massive Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen, auch in Bayern und Baden-Württemberg. Ohne eine ausreichende Menge an erneuerbaren Energien hätten wir die Klimaneutralität nicht erreichen können – wir sind ja hier in einem Zukunfts-Gespräch. Nun, das war die Grundlage….

… Danach mussten wir sicherstellen, dass die Systemstabilität gewährleistet ist. Dafür brauchten wir eine Vielzahl von Speichern – von Batteriespeichern über bidirektional ladende Elektroautos bis hin zu Gasspeichern. Besonders wichtig war es, die Verkehrswende voranzutreiben, sodass Elektroautos nicht nur zur Fortbewegung genutzt werden, sondern auch als mobile Speicher dienen konnten.

Und schließlich musste die Wärmewende gelingen. Das bedeutet, wir mussten im Wärmesektor fast vollständig auf Wärmepumpen und im Verkehrssektor auf Elektroautos umstellen. Nur durch diesen umfassenden Technologiewechsel konnten wir die Klimaneutralität erreichen.

Redaktion Stiftung Energie & Klimaschutz: Zurück in die Gegenwart – ins Jahr 2024. Was motiviert Sie, trotz der vielen Hindernisse weiter für den Klimaschutz zu kämpfen?

Prof. Dr. Volker Quaschning: Wenn man Kinder hat und die wissenschaftlichen Klimaberichte liest, weiß man, dass wir dringend handeln müssen. Es ist wie auf der Titanic: Man kann nicht einfach weiter Mittag essen, wenn man eine Eisbergwarnung hat. Wir haben alle nötigen Technologien, um die Energiewende zu schaffen. Es ist ein Verteilungsproblem und ein psychologisches Problem, das von Populisten und Populistinnen geschürt wird. Es gibt jedoch positive Beispiele, wie Norwegen, wo die Energiewende weit fortgeschritten ist. Das zeigt, dass es geht, wenn man will.

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