Ist nachhaltiger Tourismus möglich? (27)

Gastautor Portrait

Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
11. September 2024

In der 27. Folge des Podcast zur Energiezukunft spricht Holger Schäfer mit Prof. Dr. Harald Zeiss über nachhaltigen Tourismus. Herr Zeiss ist Professor für Tourismus an der Hochschule Harz. In unserem Gespräch gibt er Einblicke in aktuelle Urlaubstrends, beleuchtet die Herausforderungen des Massentourismus und hat für die Hörer auch wertvolle Tipps für nachhaltiges Reisen. 

Was versteht man unter nachhaltigem Tourismus?

Ein nachhaltiger Urlaub geht sorgsam mit den natürlichen Ressourcen um, sei es in Bezug auf materielle Güter oder CO2-Emissionen. Besonders wichtig ist dabei die Langfristigkeit: Wir müssen auch an zukünftige Generationen denken. Die Vereinten Nationen definieren Nachhaltigkeit so, dass unser Lebensstil so gestaltet sein muss, dass auch künftige Generationen ihn in gleicher Weise führen können. Das bedeutet, dass wir heute nicht um die Welt fliegen sollten, wenn dies zukünftigen Generationen aufgrund unseres Verhaltens nicht mehr möglich sein wird. Ein Urlaub oder Tourismus, der viele Ressourcen verbraucht, insbesondere solche, die nicht erneuerbar sind, ist daher nicht nachhaltig. 

Kann CO2 als Maßstab für nachhaltigen Tourismus betrachtet werden, wenn man über ein Bewertungskriterium nachdenkt?

CO2 ist ein wichtiger Faktor, aber nicht der einzige. Ein weiteres großes Thema ist laut Zeiss die Biodiversität. Die Erde erlebt enorme Verluste in der Biodiversität, und auch der Tourismus trägt dazu bei – sowohl positiv als auch negativ. Ein Beispiel sind die Malediven, die durch den Wirtschaftsfaktor Tourismus erheblich profitieren. Gleichzeitig sind die Malediven stark vom steigenden Meeresspiegel betroffen, der durch den Klimawandel und die damit verbundenen CO2-Emissionen verursacht wird.  

Welche Rolle spielen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den Reise-Entscheidungen von Menschen?

In repräsentativen Studien geben etwa 55 Prozent der Befragten an, dass ihnen nachhaltiger Tourismus wichtig ist. Fragt man jedoch die Urlauber, wie sehr dieser Aspekt ihre letzte Urlaubsentscheidung beeinflusst hat, sinkt der Anteil auf nur etwa 6 bis 8 Prozent. In Fachkreisen wird diese Lücke zwischen Verstand und tatsächlichem Verhalten als kognitive Dissonanz bezeichnet.  

Im Norden könnte es durch die Erwärmung touristisch attraktiver werden, während der Süden möglicherweise Nachteile erfährt.

Für Prof. Zeiss ist klar: Vom Klimawandel profitiert niemand, denn die Veränderungen betreffen alle Regionen. Selbst in Skandinavien werden einheimische Baumarten verdrängt, und es wächst nicht einfach schnell ein neuer Wald nach. Es gibt dennoch Unterschiede: Einige Länder sind stärker und massiver vom Klimawandel betroffen, andere sind (noch) weniger beeinträchtigt. Der gesamte Mittelmeerraum wird als touristische Destination in den Sommermonaten heißer werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass ab dem nächsten Sommer niemand mehr dorthin reist. Wenn wir einen längeren Zeithorizont betrachten, wird sich das Reiseverhalten jedoch ändern. 

Proteste gegen Massentourismus

Der Trend geht in Richtung Individualtourismus. Im Gegensatz zu Pauschalreisetouristen tauchen Individualtouristen im Alltag der Einheimischen auf. Zwar profitieren von der touristischen Wertschöpfung einige, wie Apartmentvermieter oder Restaurantbetreiber. Die meisten empfinden Tourismus  jedoch als störend, da u.a. das Vertraute und Heimische verloren geht. Besonders problematisch ist, wenn Wohnraum knapp wird, die Mieten steigen oder die Preise in Restaurants anziehen, weil so viele Touristen dort essen. Dies führt zu Ärger und Protesten in vielen Städten und Regionen, zumal die Zahl der Touristen insgesamt gestiegen ist.  

Gesetzliche Regulierungen beim Thema Nachhaltigkeit

Unternehmen wünschen sich gleiche Vorgaben für alle.  Problematisch wird es, wenn die Politik schwankt und keine klaren Ansagen für die nächsten Jahre macht. Unternehmen können sich vorbereiten und im Wettbewerb bestehen, solange die Regeln klar und stabil sind, so Zeiss. 

Ein aktuelles Beispiel ist die Green Claims Initiative der EU, die besagt, dass nicht mehr jeder auf seine Verpackung schreiben darf, dass das Produkt grün oder nachhaltig ist, ohne dies nachweisen zu können. Dies betrifft auch den Tourismussektor. So wurden beispielsweise Lufthansa, EasyJet und andere Fluggesellschaften abgemahnt, weil sie behaupteten, ihre Flüge seien nachhaltig oder kompensiert, obwohl dies auf langfristigen Zielen für 2050 basierte und nicht auf aktuellen Maßnahmen. 

Zertifizierungen und Labels im Tourismus

Es ist schwierig, die Nachhaltigkeit von Reisen zu erfassen.

Prof. Dr. Harald Zeiss

Harald Zeiss empfiehlt das Label GSTC, das zwischen guten und weniger guten Anbietern unterscheidet. Dieses Label wird von Reisebüro-Profis genutzt und soll ab nächstem Jahr verstärkt für Endnutzer sichtbar sein. Derzeit sollte man sich im Reisebüro beraten lassen oder Plattformen wie Fairweg nutzen. 

Wie kann man Tourismus nachhaltiger gestalten?

Das Forum Anders Reisen ist ein Verband, der großen Wert auf Nachhaltigkeit legt. Dort sind etwa 130 kleinere Reiseveranstalter organisiert. Allerdings bieten die meisten von ihnen Fernreisen an und haben noch keine Lösung gefunden, wie sie das Dilemma der hohen CO2-Emissionen durch Flüge lösen können. Der einzige Vorschlag bisher ist, statt zwei Fernreisen lieber eine längere zu machen. Doch auch das ist relativ – ob pro Jahr oder pro fünf Jahre. Kurz gesagt: Man sollte möglichst wenig fliegen, denn das ist der größte Hebel beim Thema Klima. 

Lesetipp für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer

Harald Zeiss empfiehlt den Autor Niko Paech, ein Postwachstumsökonom,  der mehrere lesenswerte Bücher geschrieben hat. Im Kern geht es bei ihm darum, wie wir eine Zukunft gestalten können, die weniger Ressourcen verbraucht. Für diejenigen, die lieber Videos schauen, empfiehlt Prof. Zeiss die Beiträge von Maja Göpel. 

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