Die Kraftwerksstrategie für Versorgungssicherheit und Dekarbonisierung

Gastautor Portrait

Dr. Philip Schnaars

Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln gGmbH (EWI)

Dr. Philip Schnaars ist seit 2022 am EWI tätig und ist Co-Leiter der Forschungsbereiche Strommarkt und Regulierung. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Analyse aktueller Fragen in den Bereichen Strom, Wasserstoff sowie gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Energiewende. Er berät Unternehmen, Ministerien und Verbände. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre folge eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie ein Promotionsstudium an der Universität Hamburg.

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17. September 2024
Bild: EWI

Durch den Ausbau erneuerbarer Energien und den gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle- und Kernenergie entstehen  entsteht Investitionsbedarf in neue, steuerbare Kraftwerkskapazitäten [1]. Diese sind notwendig, sofern das derzeitige Niveau an Versorgungssicherheit beibehalten werden soll [2]. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat im März 2023 in seinem Werkstattbericht „Wohlstand klimaneutral erneuern“ einen Zubaubedarf steuerbarer Kraftwerke von etwa 25 GW bis zum Jahr 2030 identifiziert [3].

Bei einer Investition in Kraftwerke müssen die Investitionsrisiken abgewogen werden. Diese sind beispielsweise bei Gaskraftwerken, die in der Regel als Grenzkraftwerke zum Einsatz kommen werden, höher als bei den sukzessive aus dem Markt ausscheidenden Grundlastkraftwerken. Die Anzahl an Einsatzstunden, in denen potenziell die Investition am Markt refinanziert werden kann, hängt vom Ausbau der erneuerbaren Energien und der Entwicklung der Stromnachfrage, beispielsweise durch Industrie und Verbraucher für Mobilität und Wärmeerzeugung ab. Zusätzlich entstehen bei Grenzkraftwerken geringere oder gar keine inframarginalen Renten, die zur Refinanzierung des neu gebauten Kraftwerks beitragen können.

Die Kraftwerksstrategie soll Investitionsrisiken reduzieren

Diese Unsicherheiten haben in den vergangenen Jahren zu einer Investitionszurückhaltung im Bereich von Gaskraftwerken beigetragen. Derzeit ist nicht zu erwarten, dass der identifizierte Kraftwerksbedarf von 25 GW durch Marktsignale zu Stande kommen wird. Als Antwort darauf hat das BMWK eine Kraftwerksstrategie angekündigt. Über Fördermaßnahmen sollen Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke sowie Wasserstoffkraftwerke angereizt werden.

Was ist die Kraftwerksstrategie: Eine Checkliste des EWI formuliert Anforderungen

Die Kraftwerksstrategie sollte dafür sorgen, dass die für Versorgungssicherheit notwendigen Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung stehen.

Dr. Philip Schnaars

Das EWI hat im Juli 2023 aus ökonomischer Sicht Anforderungen an diese Kraftwerksstrategie formuliert (siehe Abbildung 1) [4]. Die Kraftwerksstrategie sollte dafür sorgen, dass die für Versorgungssicherheit notwendigen Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung stehen. Hierfür ist ein „Steuerungsmechanismus“ denkbar, der auf eine etwaige Zielverfehlung der Kraftwerksstrategie reagieren kann (Punkt A), also weniger Neubau als beabsichtigt stattfindet.

Ebenfalls sollten Anreize zur Stromerzeugung während hoher Residuallasten erhalten bleiben (Punkt F). Neben der zeitlichen Komponente sollten die Kraftwerke räumliche Restriktionen im Strom, Erdgas- und Wasserstoffnetz berücksichtigen (Punkte B und I) sowie Verzerrungen im Großhandelsmarkt vermeiden (Punkt G). Dies kann insbesondere dann eintreten, wenn die tatsächlichen Grenzkosten der geförderten Kraftwerke und damit das Gebotsverhalten durch den Fördermechanismus verzerrt werden.

Checkliste für die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung

Grafik: EWI

Die aktuellen Pläne der Bundesregierung für die Kraftwerksstrategie

Das erste Ziel ist die Dekarbonisierung des Stromsystems, das zweite Ziel die Sicherstellung der Versorgungssicherheit mit Strom.

Dr. Philip Schnaars

Im Juli 2024 wurde das Zielniveau der Kraftwerksstrategie von 25 GW auf 10,5 GW bis zum Jahr 2030 abgesenkt, die über vier Ausschreibungen ab 2025 realisiert werden sollen [5]. Die restlichen Kraftwerkskapazitäten für ein klimaneutrales Stromsystem sollen ab dem Jahr 2028 über einen noch zu definierenden Kapazitätsmechanismus finanziert werden. Dazu kommen 2 GW Umrüstung bestehender Gaskraftwerke und 500 MW Stromspeicher. Mit dem geplanten Kraftwerkssicherheitsgesetz sollen zwei wesentliche Ziele erreicht werden. Das erste Ziel ist die Dekarbonisierung des Stromsystems, das zweite Ziel die Sicherstellung der Versorgungssicherheit mit Strom.

Für das Ziel der Dekarbonisierung werden  eine direkte Förderung der Investitionskosten für 5 GW wasserstofffähige Gaskraftwerke ausgeschrieben. Für den späteren Wasserstoffbetrieb nach spätestens acht Jahren soll zusätzlich für bis zu 800 Vollbenutzungsstunden im Jahr die Differenz zwischen den Grenzkosten von Wasserstoff- und Erdgaskraftwerken ausgeglichen. Voraussetzung ist, dass der Wasserstoff auch ausreichend zur Verfügung steht (Punkt I).

Zusätzlich sollen 5 GW in Form von Erdgaskraftwerken als Beitrag zur Sicherung der Versorgungssicherheit ausgeschrieben und mit Investitionskostenzuschüssen gefördert werden. Diese sollen im „netztechnischen Süden“ Deutschlands errichtet werden, um eine Stabilität des Stromsystems zu gewährleisten (Punkt B). Dazu gehören derzeit auch Teile von West -, Mittel- und Ostdeutschland.

Eine finale beihilferechtliche Genehmigung der EU-Kommission steht zum aktuellen Zeitpunkt noch aus. Es können sich folglich noch Änderungen in der konkreten Ausgestaltung ergeben, die bisher nur teilweise bekannt ist (Punkt H).

Ein Kapazitätsmechanismus als Anschlusslösung

Ab dem Jahr 2028 soll ein Kapazitätsmechanismus zur Finanzierung von (neuen) Kapazitäten und damit zur Versorgungssicherheit beitragen [5]. Das BMWK favorisiert derzeit ein Mischmodell aus einem technologieoffenen, dezentralen und einem zentralen Kapazitätsmarkt [7]. Weitere Details sind unbekannt.

Die vorgestellte Checkliste für die Kraftwerksstrategie ist in nahezu allen Punkten direkt  auf die Bewertung eines solchen Kapazitätsmechanismus anwendbar und kann somit zur Bewertung von konkreten Vorschlägen beitragen. Als neues Element der Checkliste sollte ergänzt werden, dass die Wechselwirkungen zwischen dezentralem und zentralem Markt verstanden werden müssen. Dieses Modell ist bisher ohne Vorbild in anderen Ländern.

Die 5 GW Gaskraftwerke der Kraftwerksstrategie sollen im späteren Zeitverlauf in diesen Kapazitätsmechanismus wechseln. Dadurch gewinnen die Punkt C und D (kosteneffizienter Neubau und transparente öffentliche Förderung) der Checkliste zusätzliche Relevanz, da eine Überförderung der Kraftwerke zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann. Investoren kennen derzeit die Ausgestaltungsdetails des Kapazitätsmechanismus nicht; können also zukünftige Vergütungen ihrer Kapazität nur eingeschränkt in ihre Gebote bei den Auktionen der Kraftwerksstrategie einbeziehen. Dies dürfte die Anforderungen der Investoren an das Preisniveau der Gebote in der Kraftwerksstrategie erst einmal erhöhen.

Weitere Informationen zur Kraftwerksstrategie

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